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Rosa Luxemburg – eine Ikone der revolutionären Realpolitik

Posted in Allgemein von waehltvera - 17. Februar 2009

Luxemburg

Luxemburg

Ein Beitrag von Johannes Hampel

Unter dem Namen RosadeLuxe plante einer der 2005 ausgewählten Entwürfe zum Rosa-Luxemburg-Denkmal ein Modelabel zu entwickeln, das in Lizenz an Modefirmen verkauft werden sollte. Daraus wurde nichts, heute zieren stattdessen 60 Zitate Rosa Luxemburgs den Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Viele kennen somit weiterhin nur herausgerissene Zitate dieser wichtigen Galionsfigur der kommunistischen Bewegung. Der größere Zusammenhang wird von den Passanten leider buchstäblich mit Füßen getreten.

Zu diesem Thema sei deshalb eingeladen zur öffentlichen Veranstaltung:

Dienstag, 17. Februar 2009, 18.30 Uhr, Café Sybille, Karl-Marx-Allee 72, Friedrichshain.  Start der Gesprächsreihe “Politik ohne Phrasen – Vera Lengsfeld lädt ein” mit dem Titel:  ”Taugt Rosa Luxemburg als Ikone der Demokratie?” Diskussion mit Halina Wawzyniak (Linke), Prof. Manfred Wilke, Manfred Scharrer

Das Buch von Frigga Haug „Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik“, erschienen 2007 im Argument Verlag, räumt mit zahlreichen Vorurteilen auf, die diese Frau heiligenscheinartig umwabern. Wer keine Zeit hat, die Werke und Briefe Luxemburgs zu lesen, sollte mindestens die umfangreiche Zitatsammlung in Haugs höchst verdienstvollem Bändchen studieren.

Rosa Luxemburg war zeit ihres Lebens überzeugte Marxistin. Dass die Menschheitsgeschichte notwendig auf den Kommunismus zulaufe, daran glaubte sie unerschütterlich. An keiner Stelle wich sie davon ab, dass sie die gewaltsame Umwälzung der kapitalistischen Ordnung und die darauf folgende Diktatur des Proletariats für notwendig und unausweichlich hielt. Die Liquidierung der Verfassunggebenden Versammlung, ausgeführt am 19.01.1918 durch Lenin, begrüßte sie ausdrücklich ebenso wie den in ihren Worten „unvermeidlichen Terror“ gegen das „Lumpenproletariat“, gegen „Abweichler“ und „bourgeoise Elemente“, die sich der Oktoberrevolution entgegensetzten.

Haug weist schlüssig nach, dass alle Versuche, die innere Einheit der revolutionären kommunistischen Parteien zu spalten oder Rosa Luxemburg gar zu unterstellen, sie wende sich gegen die Oktoberrevolution, ja sie habe sich innerlich vom Marxismus verabschiedet, wie dies etwa Hannah Arendt annimmt, zum Scheitern verurteilt sind (Haug, a.a.O. S. 164).

Warum sind aber heute viele so sehr von Luxemburg fasziniert? Luxemburg arbeitete wie Liebknecht, Lenin und Stalin auf die gewaltsame Errichtung einer Räterepublik hin, deren Entstehung selbstverständlich „nicht mit Rosenwasser getauft sein würde“, wie sie selbst in ihrer blumigen, mit religiösen Wendungen durchtränkten Bildersprache sagt. Wodurch unterscheidet sich Rosa Luxemburg von den anderen kommunistischen Führern, die sie kannte, auf die sie sich bezog, die sie wiederum schätzten, wie etwa Lenin und Stalin?

Mit einem weiteren Bild gibt sie selbst Auskunft. Sie weist nämlich die Alternative „entweder Maschinengewehre oder Parlamentarismus“ als „Vereinfachung“ zurück (Haug, a.a.O. S. 142).  Für sie heißt es folglich:  Sowohl Maschinengewehr als auch Parlamentarismus. Die von Philipp Scheidemann ausgerufene parlamentarische Republik war nach dem Zusammenbruch der Monarchie Rosa Luxemburgs erklärtes Angriffsziel. Ähnlich wie in Russland die Bolschewiki die nach der Februarrevolution entstehende bürgerliche Demokratie zerstört hatten, sollte auch die Weimarer Republik zerstört werden. Und zwar durch die Doppelstrategie Maschinengewehr und Unterwanderung des parlamentarischen Systems.

Streit gab es zwischen Rosa Luxemburg und anderen Genossen über den besten Weg zur Zerstörung der jungen Weimarer Demokratie: Luxemburg glaubte, dass eine Revolution nur mit Terror, Gewalt und physischer Vernichtung der Konterrevolution nicht gelingen könne. Sie erkannte hellsichtig, dass man in die bestehenden demokratischen Strukturen einsickern müsse, um sie von innen heraus zum Einsturz zu bringen – zu „sprengen“, wie sie das nannte.

Wichtig sei es, auch die Massen einzubinden, sie zu führen, sie aus ihrem jämmerlichen Bewusstseinszustand heraus- und höherzuentwickeln. Und umgekehrt sollte das Proletariat auch Anregungen und Einsichten liefern – die Idee der beständig lernenden Partei war geboren!

Zwar wird Luxemburg nicht müde, den deutschen Reichstag als „parlamentarischen Kretinismus“, als „Haus der tödlichsten Geistesöde“, als „verfallende Ruine“ zu bezeichnen. Dennoch fordert sie zur Teilnahme an den Wahlen und zur aktiven Mitarbeit in den Parlamenten, insbesondere in der Nationalversammlung auf. Sie schreibt:

„Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen. Wir wollen dieses Bollwerk von innen heraus sprengen“ (Haug, a.a.O. S. 60).

Was die russischen Kommunisten handstreichartig, gestützt allein auf Maschinengewehre, Erschießungskommandos, Tscheka, Agitation und Straflager bewirkten, das wollte sie durch Unterwanderung des bestehenden Systems erreichen.

Durch beharrliche Erziehung und Belehrung der Massen, nicht nur durch Terror und physische Vernichtung der Gegner, wollte sie den Weg zur Diktatur des Proletariats ebnen: Weltrevolution auf die etwas sanftere Art.

Innerhalb der kommunistischen Bewegung verlangte sie Meinungsfreiheit. Dafür wird Luxemburg heute noch verehrt. Sie kritisierte den absoluten Vorrang, den die russischen Kommunisten gegenüber den KPs aller anderen Länder für sich beanspruchten. Deshalb schrieb sie in ihrem postum veröffentlichten Aufsatz über die russische Revolution: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Damit ist gemeint:  Für die Revolution sind verschiedene Lösungsansätze denkbar und zulässig. Solange man die Diktatur des Proletariats anerkennt, darf es laut Luxemburg keine Denkverbote geben.

Sobald die Konterrevolution und die verbleibenden Reste der Bourgeoise durch den – wie Luxemburg feststellt – „unvermeidlichen Terror“ ausgetilgt sind, muss Rede- und Meinungsfreiheit herrschen. Kein Marxist hat das Recht, einem anderen Marxisten die eigenständige Denkbewegung zu verbieten. So kritisierte sie scharf, dass Lenin alle anderen sozialistischen Parteien, etwa die Sozialrevolutionäre, liquidiert hatte. Luxemburg verlangte – nach der Beseitigung der von ihr verachteten bürgerlichen Ordnung – eine ungehinderte Meinungsfreiheit für alle Revolutionäre, nicht nur für die Bolschewiki, sondern auch für die Sozialdemokraten, die ja damals noch marxistisch eingestellt waren.

Wie Karl Marx selbst sah sie voraus, dass bei der Errichtung der Diktatur Fehler und Irrtümer unterlaufen. Einem Satz wie „Denn die Partei, ja die Partei hat immer recht“ hätte Luxemburg niemals zugestimmt! Sie forderte: Wir müssen beständig korrigieren, nachbessern, lernen, die Revolution gelingt nicht über Nacht. Agitation, Belehrung der unreifen Massen, gemeinsam voneinander und miteinander lernen ist ebenso wichtig wie der bewaffnete Kampf.

Zeit lassen ist wichtig! Dass die Revolution in Russland so schnell und leicht gelang, sah sie nicht voraus. Für Deutschland rechnete sie mit längeren Zeiträumen – da das deutsche Proletariat schmachvoll versagt hatte, indem es die Kriegskredite bewilligt hatte und auch sonst in all seiner sittlichen Verderbtheit mehrheitlich der Partei Rosa Luxemburgs die Gefolgschaft versagte.

Wie stünde Rosa Luxemburg zu Hartz IV, zu 1-Euro-Jobs und ähnlichen Entwürdigungen? Hierüber hat sie sich eindeutig geäußert. Sie fordert nämlich eine allgemeine Arbeitspflicht für alle. Arbeit, Arbeit, Arbeit! Selbstverständlich auch ohne Bezahlung, nötigenfalls ein Subotnik an sechs Tagen die Woche. Rosa Luxemburg hätte das heutige Hartz-IV-System als Verführung zum Nichtstun selbstverständlich abgelehnt. Es hätte ihrem tiefverwurzelten Pflichtgefühl widersprochen.

Dass arbeitsfähige Arbeitslose zusätzlich zu ihrer Hartz-IV-Grundsicherung noch Entgelt für  ihren Arbeitseinsatz im Dienste des Volkes erhalten, hätte sie wohl zum Lachen – oder zum Weinen – gebracht.

Rosa Luxemburg schreibt in der Sozialisierung der Gesellschaft:

„Damit alle in der Gesellschaft den Wohlstand genießen können, müssen alle arbeiten. Nur wer irgendeine nützliche Arbeit für die Allgemeinheit verrichtet, sei es Handarbeit oder Kopfarbeit, darf beanspruchen, dass er auch Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse von der Gesellschaft bekommt. Ein müßiges Leben, wie es jetzt die reichen Ausbeuter führen, hört auf“ (Haug, a.a.O. S. 92).

Mit diesen und anderen Gedanken der gesellschaftlich nützlichen Arbeit stand Luxemburg nicht allein: Ab Januar 1918 begann Lenin, ein weitgespanntes System an Arbeits- und Umerziehungslagern einzurichten, die teilweise die Politik der Massenhinrichtungen ersetzten. Es waren die Anfänge des GULAG.

Aber auch mit ihrer Lehre von der Unterwanderung der bestehenden Institutionen, mit ihrem nachdrücklichen Beharren auf Höherbildung und Umerziehung der unreifen Massen konnte sich die lange verfemte Sozialistin Luxemburg letztlich doch stärker durchsetzen, als man heute wahrhaben will: Nach 1945 gelangten viele europäische kommunistische Parteien nicht durch plötzliche Machtergreifung, sondern durch die Eliminierung konkurrierender Parteien aus Koalitionsregierungen heraus an die Macht. So geschah es in Ungarn, so geschah es in der Tschechoslowakei.  Wie Luxemburg vorgeschlagen hatte, leisteten sie die vollkommene Mimikry an ein parlamentarisches System, um dann ihr eigenes  System an die Stelle der von innen heraus gesprengten Ordnung zu rücken.

Der physische Terror, die psychische Einschüchterung, die Ausschaltung innerparteilicher und bürgerlicher Gegner – diese Mittel, die Lenin und Stalin so „überreich“ angewandt hatten, wurden im quantitativen Umfang etwas zurückgefahren und harmonisch ergänzt durch den Anschein einer funktionierenden Demokratie. Dieses luxemburgsche Modell ist die Volksdemokratie mit einem Mehrparteiensystem, wobei sich selbstverständlich die nichtkommunistischen Parteien dem wissenschaftlich begründeten Vorrang der Partei des Proletariats unterzuordnen haben.

Rosa Luxemburg ist somit als Schatten viel stärker in den Hauptstrom der kommunistischen Bewegung eingebunden, als dies manche Romantiker wahrhaben wollen.

Dies wäre auch die Kritik, die man an Haugs akademisch gelehrtem Buch anbringen könnte: Die Verfasserin unterschätzt die Wirkmacht Rosa Luxemburgs, sie deutet ihre Gedanken weithin so, als sei es reine Theorie der Revolution und nicht „revolutionäre Realpolitik„, wie Luxemburg ihren Ansatz selbst nannte. Die Rezepte Rosa Luxemburgs sind eigentlich schon bis 1989 vielfach in mehreren Ländern ausprobiert worden. Den Völkern haben sie bisher nicht geschmeckt. Diese Suppe wollten sie bisher nicht. Soll man sie noch einmal anrühren?

Zu recht hat die Partei „Die Linke“ Rosa Luxemburg als Ikone geehrt, indem sie die Rosa-Luxemburg-Stiftung als ihr nahestehende Bildungseinrichtung anerkannte. Denn einerseits werden alle, die am Ziel eines gewaltsamen Umsturzes der bestehenden Ordnung festhalten, aus den Schriften Rosa Luxemburgs reichlich Belehrung ziehen können. Andererseits kann auch die Anpassung an bestehende Mehrparteiensysteme gelingen, wenn man die Lehren Rosa Luxemburgs aufmerksam liest und beherzigt.

Man braucht nur Geduld, Zeit, Arbeit, Geld und: Bildung, Bildung, Bildung der – wie Luxemburg sagt – „unreifen“ Massen, die so „schmachvoll versagt“ haben.

Wer heute entspannt über den Rosa-Luxemburg-Platz mit seinem Denkzeichen schlendert, sollte aufmerksam die Sätze dieser heute noch so faszinierenden, herausragenden Revolutionärin lesen und in den Zusammenhang ihres unermüdlichen Schaffens für die Diktatur des Proletariats einbetten.

Rosa Luxemburgs Zeit ist noch nicht abgelaufen!

Für ein Franchising als RosadeLuxe – viel zu schade!

2 Antworten to 'Rosa Luxemburg – eine Ikone der revolutionären Realpolitik'

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  1. antifo said,

    Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen. Wir wollen dieses Bollwerk von innen heraus sprengen.

    Holla!

    Von Mussolini stammt der Ausspruch man solle „das bürgerliche Schiff nicht versenken, sondern an Bord gehen, um die parasitären Elemente über Bord zu werfen“. Das hat er aber erst 1920 gesagt. Rosa war Benito also eine Nasenlänge voraus. Er war allerdings einen Tick konsequenter.

  2. waehltvera said,

    Hey antifo, guter Kommentar! Der Sozialismus kam zuerst, entwarf zahlreiche neue strategische Konzepte – etwa das der Unterwanderung. Auch Mussolini war zunächst Mitglied der sozialistischen Partei Italiens. Was er beibehielt, war die Gegnerschaft zum parlamentarischen System, was er aber hinzufügte, das war der Nationalismus. Die Sozialisten waren keine Nationalisten. Ansonsten: zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den Sozialisten und den Faschisten Italiens!


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